Über den Moment hinaus

Für einen Moment verlor der Abend seine Unschuld, als Daniel Hope Erwin Schulhoffs „Duo für Violine und Violoncello“ ansagte. Ein neugierig experimentelles, stellenweise versteckt humoristisches Stück eines Komponisten, dem die musikalische Welt seiner Zeit offen stand und der in einem bayerischen Konzentrationslager ermordet wurde. Und nun angestimmt wurde im Saal des Amerikahauses, erbaut zur kulturellen Resozialisation eines besiegten Systems der Unmenschlichkeit, nur wenige Meter Luftlinie entfernt sowohl von einigen der Prachtbauten der bayerische Monarchie, der nationalsozialistischen „Hauptstadt der Bewegung“, wie auch dem NS-Dokumentationszentrum.

Dann spielten er, selbst Kosmopolit, Humanist und Spross einer von Nazi-Deutschland verfolgten Familie, und ein junger amerikanischer Cellist das 1925 entstandene Werk mit genau der nötigen Mischung aus Ehrfurcht, Neugier und Witz, die Schulhoffs Komposition brauchte, um aus dem wilden Diskursgemenge der 1920er-Jahre in das kulturelle Optionenkarussell der Gegenwart übertragen zu werden. Das Nachdenken schlug um in Perspektive, womöglich ein kurzes Moment der Trauer, die aber durch die Energie und die Empathie der Interpreten mit Blick auf die Zukunft aufgelöst wurde. Musik kann das.

Und sie konnte noch mehr. Daniel Hope und die junge Münchner Geigerin Clara Shen, die aufgrund eines ins kommende Jahr geschobenen Festivals-Konzerts von Arabella Steinbacher spontan ins Programm genommen wurde, ließen fünf Miniaturen von Béla Bartók aufblitzen, Klangkulturen überschreitende Duos mit Witz und fein balancierter kommunikativer Kraft. Die Pianistin Marie Sophie Hauzel und der Cellist Sterling Elliott, der bei dieser Gelegenheit übrigens sein Europa-Debüt spielte, zelebrierten profunden Spaß an der Gestaltung von Beethovens Duo-Sonate C-Dur, der sie bei aller gestalterischen Akkuratesse viel juvenilen Übermut gönnten. Ravels frühe, einsätzige Violinsonate wurde ein schwelgendes Fest in Musik überführter emotionaler Aufgewühltheit und Mendelssohns Klaviertrio nahm am Ende den Schulhoff-Gedanken der Freiheit in überschwänglicher Offenheit noch einmal auf. Ein beeindruckender Abend, auch über die Einzelleistungen der Interpret:innen hinaus.

Noch ein Hinweis. Die Eröffnung von Stars And Rising Stars 22 wurde von einem Fernsehteam von München TV begleitet. Hier ist ein Link zum Beitrag mit einem stimmungsvollen Blick auf die Eröffnung: https://www.muenchen.tv/mediathek/video/stars-rising-stars-in-muenchen/

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