Kunst im Raum

Erste Erkenntnis: Die Konzertaula des Münchner Wilhelmsgymnasiums ist ein herausfordernder Raum. Er schenkt nichts, verzeiht nichts, keine schmeichelnden Reflexionen stören das Hörbild. Das bedeutet für Musiker:innen, dass sie auf besondere Weise präsent sein müssen, um ihre Kunst wirken lassen zu können. Wer dort besteht, hat gute Chancen, auch andere akustische Situationen zu meistern, die nicht der Norm des zu erwartenden klingenden Entgegenkommens entsprechen.

Daraus ergibt sie die zweite Erkenntnis des Abends. Denn die Herausforderng lässt sich meistern, nicht nur mit der Opulenz eines Steinway-Flügels, der für sich ja bereits die Üppigkeit des Klangs nahelegt, sondern auch mit den Facetten eines Streichquartetts. Mehr noch: Dem Kandinsky Quartet aus Wien gelingt es beispielsweise im Fall des mittleren und elften Beethoven-Quartetts, die Klarheit des Raumerlebens in Direktheit der Interpretation zu verwandeln. Dieser Beethoven wurde nicht gespielt, sondern verinnerlicht, eine verblüffende Leistung bei einem Werk, das seine ersten zwei Jahrhunderte Rezeption bereits hinter sich hat.

Und das führt in einem weiten Bogen auch zur dritten Erkenntnis des Abends. Denn Werke entwickeln aus der zeitlichen Distanz neue Qualitäten. Man kann sich heute kaum vorstellen, dass Alban Bergs erste Klaviersonate bei ihrer Uraufführung 1911 Entrüstungsstürme ausgelöst hat, so feingliedrig und im Detail humorvoll wie Elisabeth Leonskaja, die gastgebende Meisterpianistin des zweiten Konzerts von Stars And Rising Stars 2023, das kompakte Werk spielte. Und ebenso verschmitzt und transparent wirkten die drei Strawinski-Stücke für Streichquartett, die schon 1914 dem Publikum mit einem Augenzwinkern entgegentraten.

Als sich für das Finale des Abends die Beteiligten dann zu Schumanns Klavier-Quintett zusammentaten, fusionierten schließlich die Optionen der Instrumente und dominierten den Raum mit prachtvoll ausladender Romantik. Die Konzertaula eines Gymnasiums ist eben immer auch ein wenig ein Ort der Prüfung. An diesem Abend wurde gezeigt, wer die Meister, die Meisterinnen sind.

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