Die Feinheit der Jugend

Natürlich weiß man nicht, was Johannes Brahms tatsächlich gefühlt haben mag. Aber man ahnt es, wenn man Martina Consonni und Guido Sant’Anna zuhört. Denn die italienische Pianistin und der brasilianische Geiger spielen die erste Violinsonate des gerne emphatisch schwelgenden Spätromantikers mit einer Hingabe und zart artikulierten Feinheit, dass der Esprit des Komponisten durch die Interpretation spürbar wird. Das ist großes Kino und umso erstaunlicher, als gerade Guido Sant’Anna seine jugendliche Ausdruckskraft mühelos mit den Gefühlsknoten des älteren Mannes zu verbinden und diese vielleicht sogar vorbehaltloser zu lösen versteht, als es üblicherweise geschieht.

Überhaupt waren die musikalischen Stationen des vierten Abends von Stars And Rising Stars in der Konzertaula des Wilhelmgymnasiums Lichtpunkte des ganzen Festivals. Martina Consonni und Guido Sant’Anna musizierten mit aufmerksamer Gemeinsamkeit und selbstverständlich wirkender Finesse. Der nachdrücklich zarte Brahms bekam einen zwischen abstraktem Ernst und verschmitztem Witz changierenden Ravel zur Seite, am Ende des Abend durch Gershwins „Porgy & Bess“-Fantasie mit Lust am Zirzensischen und an der Leichtigkeit des Melodischen abgerundet – es gab Blue Notes zu hören!

In diesen Rahmen der unterschiedlich wild pulsierenden Gefühle passte Udo Wachtveitl eine Misere aus Robert Hültners „Tödlichem Bayern“ ein, die Rekonstruktion eines tatsächlichen Verbrechens Mitte des 19.Jahrhunderts mit Gift und Mord und Dummheit und einem Kluftingerhaften Kommissar, der zwar wirklich ermittelte, aber auch gut in das Klischee des bayerisch cleveren Colombos passen würde. Mit versierter Intensität gelesen, war das ein Beispiel für Leidenschaft, die auf falsche Bahnen führte. Im Unterschied zu Brahms, Ravel und Gershwin.

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